02. November >> 20. Januar 2024
Die Ausstellung wird verlängert bis 20.01.2024
AUS DEM ELBTAL IN DIE WELT – UND WIEDER ZURÜCK
Mail Art in Dresden 1980–1990
Birger Jesch, Martina und Steffen Giersch,
Jörg Sonntag/J.S. Salich,
Joachim Stange, Jürgen Gottschalk
Eröffnung am Donnerstag den 2.11.2023 um 19 Uhr
Einführung: Frau Marie Egger
SoundCollage: Jo Siamon Salich, G.X. Jupitter Larsen / Californien
Texte: Jürgen Gottschalk
Die Mailartisten arbeiten bevorzugt mit den Kommunikationsmedien Postkarte und Brief, wobei sie auch amtliche Beförderungszeichen wie Briefmarke und Stempel in ihre Gestaltung einbeziehen.
In der DDR der 1970er Jahre begann eine kleine Gruppe Kreativer, deren Hauptvertreter der Berliner Künstler Robert Rehfeldt (†1993) war, Kontakte zu internationalen Künstlern herzustellen, um den einengenden Vorgaben der staatlichen Kulturfunktionäre zu entgehen.
Auch die Dresdner Mail Artisten wurden durch Robert Rehfeldt inspiriert, der 1979 erste internationale Kontaktadressen übermittelte.
Die auf unterschiedlichste Weise vervielfältigten Motive bezogen sich oftmals auf DDR-Tabuthemen wie Demokratie, Meinungspluralität, Pazifismus und Umweltschutz, für die es damals kein öffentliches Forum gab. Aber auch Fluxus und Konzeptkunst übten einen starken Einfluss aus.
Das erste Mail Art Projekt der DDR, welches unzensiert im Ländchen ausgestellt wurde, war erstmals im Februar 1981 in der Trachauer Weinbergskirche zu sehen.
200 DDR- Luftgewehr- Zielscheiben wurden von Birger Jesch aus Dresden-Löbtau in „alle Welt“ verschickt mit der Bitte um Überarbeitung. Die zurückgekehrten Unikate waren Ermutigungen für die regionale Friedensbewegung unter dem Dach der KIrche.
In verschiedenen sächsischen Kirchen war später immer wieder Postkunst zu sehen.
Daneben auch in privaten Räumen wie im Atelier von Jörg Sonntag; der eine Ausstellung des reisenden holländischen Mail Artisten Kees Francke organisierte. Dieser reiste 1986 durch Osteuropa mit Arbeiten seines Mail Art Projekts „Das Paradies der Arbeiter“.
Martina und Steffen Giersch organisierten zwei Fahrrad-Aktionen, passend zu ihrem Projekt „Mobil ohne Auto“, zu denen auch Berliner Mail Artisten anreisten.
Bis auf ca. 80 Personen wuchs die Szene der Mailartisten in der DDR an. Und jeder Einzelne
hatte wiederum seinen eigenen internationalen Korrespondenzkreis. Es gab gelegentliche gegenseitige Besuche, vor allem innerhalb der Ostblockstaaten. Doch auch Westdeutsche, Holländer, Japaner, US-Amerikaner, selbst ein Künstler aus Uruquay kamen, um die Lebens- und Produktionsbedingungen ihrer Korrespondenzpartner kennen zu lernen. Man tauschte sich aus und vertiefte die Kontakte; Freundschaften entstanden.
Das Ministerium für Staatssicherheit beobachtete diese Szene aufmerksam, konfiszierte Briefe, verhinderte Ausstellungen und Treffen und schlug zu, als einige der Mailartisten ihren Unmut über die politischen Verhältnisse unverblümt zu äußern begannen. Es gab Vernehmungen, Geldstrafen und eine illegale Wohnungsdurchsuchung bei Joachim Stange. Das Ziel war, einen Straftatbestand festzustellen und entsprechend abschreckend zu ahnden. Dem Dresdner
Siebdrucker Jürgen Gottschalk beispielsweise wurde wegen eines in seiner Werkstatt aufgehängten Solidarnosc-Plakats die Drucklizenz entzogen, später verhaftete man ihn und sperrte ihn ein.
Mail Art wurde von vielen Aktivisten als eine emanzipatorische, zeitgenössische Kunstform angesehen, die wenig mit dem Austausch von Artigkeiten zu tun hat. Zweidrittel der DDR- Mailartisten hatten keinen künstlerischen Beruf, sie waren Krankenpfleger, Kraftfahrer oder Handwerker. Dieser Personenkreis hatte in Punkto Karriere keine Illusionen und war auf diesem Felde nicht erpressbar.
Im Netzwerk der Mailartisten hat jeder die Möglichkeit, zu einem eigenen Kunst-Projekt einzuladen. Ein Thema bzw. Konzept wird vorgegeben, Einladungen werden gestaltet, Einsendeschluss und Format festgelegt; dann wird der Aufruf an beliebig viele Adressaten weltweit verschickt. Die eintreffenden Arbeiten verbleiben im Archiv des Initiators. Er erstellt und versendet einen Katalog oder zumindest eine Adressliste aller Teilnehmer, um weitere Kommunikation zu befördern. Oft entsteht eine Ausstellung, in der alle eingesandten Arbeiten gezeigt werden. Bis heute gibt es ein enges internationales Beziehungsgeflecht, aus dem heraus jederzeit eine neue, gemeinsame künstlerische Arbeit begonnen werden kann.
Die Retrospektive zeigt vielfältige Beispiele aus den Archiven der sechs ehemaligen Dresdner Akteure, welche auch alle selbst mehrere Projekte in den 1980ern organisierten.
Zur Eröffnung wird J.S. Salich die Soundcollage live weiter entwickeln und Jürgen Gottschalk liest Texte aus seinem Buch „Druckstellen“.
Jo Siamon Salich macht seit den 1990er Jahren Medienprojekte, interaktive Rauminstallationen, Performances und Musik.
Er hat einen seiner Sounds an G.X. Jupitter Larsen (Hollywood, California) übermittelt, der ihn überarbeiten wird. Jupitter Larsen hat bereits in den 1970er Jahren ein Mail Art-Netzwerk aufgebaut. Darüber hinaus hat er sich an der Punk-Rock-, der Kassetten- und der Zine-Kultur beteiligt und koordinierte für Pawel Petasz während der Zeit des polnischen Kriegsrechts von 1981 bis 1989 dessen Commonpress Editionen. Larsen war auch an der Mail Art Edition „BAMBU Nr.5“, die Salich 1983 herausgegeben hat, beteiligt. Als Gründer von The Haters praktizierte G.X. Jupitter Larsen Hardcore-Noise und brachte diese Musik auch auf über 300 Schallplatten und CD’s heraus. Einen Teil dieser Sounds hat er als einer der ersten zu Mail Art-Objekten bestimmt und auch als solche verschickt. Den Sound von Salich wird G.X. Larsen überarbeiten und an ihn zurück senden, eines der Grundprinzipien der Mail Art-Projekte.
Dauer: bis 22. Dezember 2023
Die Ausstellung wird verlängert bis 20.01.2024

Förderung:
Mit freundlicher Unterstützung von der