Brücken zwischen Olentangy River und Elbe
Das Austauschprogramm zwischen Columbus/Ohio und dem Freistaat Sachsen
Columbus, Dresden, Leipzig oder Chemnitz sind Städte […] eignen sich von daher besonders gut als Ausgangspunkte für schöpferisches Reisen. Oder eben als Ziel, denn das Andere, das Fremde ist immer das Interessante. Die Mütter und Väter des Columbus Saxony Exchange Programms haben diesen Mechanismus schnell erkannt und auf der partnerstädtischen Achse einen eigenen Reiseverkehr etabliert. Mehrmals im Jahr wechseln seit 1995 amerikanische und deutsche KünstlerInnen ihren Standort, um auf dem jeweils anderen Kontinent für 3 Monate ihr (mehr oder weniger luxuriöses) Nomadenzelt aufzuschlagen.
Das Reisen wird und wird nicht überflüssig. Virtuelle Netzwerke und technologische wie kulturelle Phänomene der Dezentralisierung haben es bisher nicht vermocht, das zyklische Nomadisieren von sogenannten Kulturvölkern abzuschaffen. Im Gegenteil: die Notwendigkeit, dass KünstlerInnen zu reisen haben, neue Eindrücke zu empfangen, scheint ungebrochen. Heutzutage entnimmt man Biografien häufig mehrere Wohnorte bzw. das symptomatische Wort „based in“, das darauf verweisen soll, das der/die betreffende KünstlerIn zuallerletzt in diesem Basislager anzutreffen sei, vielmehr innerhalb eines beträchtlichen weltweiten Aktionsradius operiert. Fast scheint es peinlich, einen festen Wohn- und Arbeitssitz zu haben – vorausgesetzt, es handelt sich nicht gerade um Tokio, New York oder Berlin.
Columbus, Dresden, Leipzig oder Chemnitz sind Städte, die sich dieses universellen Nimbus nicht erfreuen können und eignen sich von daher besonders gut als Ausgangspunkte für schöpferisches Reisen. Oder eben als Ziel, denn das Andere, das Fremde ist immer das Interessante. Die Mütter und Väter des Columbus Saxony Exchange Programms haben diesen Mechanismus schnell erkannt und auf der partnerstädtischen Achse einen eigenen Reiseverkehr etabliert. Mehrmals im Jahr wechseln seit 1995 amerikanische und deutsche KünstlerInnen ihren Standort, um auf dem jeweils anderen Kontinent für 3 Monate ihr (mehr oder weniger luxuriöses) Nomadenzelt aufzuschlagen. Als erste Sendboten aus Dresden erschienen 1994 Veit Hoffmann, Stefan Plenkers und Rainer Zille in Columbus. Das freundliche und höchst interessierte Wesen des Trios fand in der „Sister City“ am Zusammenfluss von Scioto und Olentangy großen Anklang. Noch heute geht die Kunde vom produktiven und geselligen Zusammenleben von Hoffmann, Plenkers und Zille in einer Art Wohngemeinschaft. In mancher Wohnung finden sich noch Arbeiten der drei, die sie als Gastgeschenke mitbrachten. Die Begegnung von Columbus und Dresden stand von Anfang an unter einem guten Stern und damit hatten besonders jene „Pioniere“ zu tun!
Als Richard Harned und Linda Fowler 1995 als erste Stipendiaten aus Columbus nach Ostdeutschland kamen, erhielten sie ein Gastatelier in Leipzig. Dort fanden sie noch die fast romantischen Spuren jahrzehntelanger Vernachlässigungen, ruinösen Charme, der ebenso schnell, wie er in der westlichen Welt nach dem Mauerfall sprichwörtlich wurde, wieder Sanierungen und Renovierungen wich. Richard Harned, Installations- und Lichtkünstler aus Columbus erinnert sich noch heute gern an die für seine eigene Arbeit höchst inspirierenden Skelette ausgebrannter Gasometer in Leipzig und Dresden sowie an sein damaliges Domizil: „Das Gastatelier befand sich in einem verlassenen, ruinösen Gebäude und hatte weder Strom noch Wasser. Bizarr war auch, dass unter dem Dach viele Tierkadaver lagen.“ Die Räume allerdings seien herrlich zum Arbeiten gewesen und das Ambiente, einschließlich des Aufstieges zum Uhrenturm nicht zu überbieten. Heute hat sich das bewusste Areal „Spinnereistraße“ in Leipzig/Plagwitz zu einer weithin bekannten Künstlerkolonie entwickelt; auf dem ehemaligen Werksgelände wurden zahlreiche Lofts und Studios eingerichtet und von der einstigen Goldgräberstimmung ist nur noch wenig geblieben.
Ein anderes, für sie sehr fremdartiges Zeichen der jüngsten Vergangenheit, diagnostizierte Linda Fowler. Ihre Quilts mit figurativer Ornamentik waren bis zum Aufenthalt in Leipzig von einem leuchtenden Farbspektrum betsimmt. Hier nahm die Textilkünstlerin nun eine allgemeine Dominanz von Grauwerten, gewiss noch als allgegenwärtige Folge der über 40 Jahre währenden Umweltverschmutzung, wahr und änderte ihre Palette dementsprechend. Linda Fowlers Zyklus „Homescapes“, in dessen Zentrum das Symbol der des Leipziger Herbstes 1989 per se steht, die Nicolaikiurche, wird durch gedeckte Töne charakterisiert.
Ähnlich beeindruckt waren die beiden ersten Reisenden, die im Rahmen des Programmes in die „Neue Welt“ kamen. Tobias Stengels Collagen aus jener Zeit weisen neben den für ihn typischen geometrischen Elementen Fotomotive seiner nordamerikanischen Erfahrungen auf. Der Anregung aus Columbus folgend, zeigte Stengel seine Arbeiten gleich nach seiner Rückkehr in seinem „Offenen Atelier“ in Dresden. Diese bis dato hier wenig bekannte Methode, sich interessiertem Publikum zu präsentieren, hatte der Künstler neben neuen Blättern im Reisegepäck. Bei seinem Kollegen Axel Krause, der ebenfalls 1995 in Ohio weilte, schlugen sich die Inspirationen eindrucksvoll in Gemälden nieder, die etwas später entstanden. Surreale Ausblicke aus imaginären oder tatsächlichen Motel-Fenstern, Ansichten endloser Prärien und eine Hommage an Edward Hopper widerspiegeln seine Impressionen der drei Monate bzw. deren schöpferische Interpretationen.
Für die deutschen KünstlerInnen verkörpern Weite und Diversität der USA eine Verlockung, dere sie im Verlaufe ihres Aufenthaltes unbedingt nachgeben – nachgeben müssen, um das ganze riesige Land und seine Kultur wenigstens ansatzweise erfassen zu können. Die meisten von ihnen nutzten die Zeit in Columbus für kurze Erkundungsausflüge – wie Stella Pfeiffer, die 1997 einige Tage in Detroit verbrachte und dort wunderbare Kleinodien wenig bekannter Street Art fotografierte.
Für die amerikanischen Stipendiaten stellt im Übrigen die geringe Distanz zu den nächsten Großstädten stets wieder eine Überraschung dar. Kaum zu glauben, wie rasch Metropolen wie Berlin und selbst München von Dresden oder Leipzig aus zu erreichen sind: europäische Entfernungen! So dehnte Larry Collins seine Streifzüge in die (damals freilich noch designierte) Hauptstadt des wiedervereinigten Deutschlands aus und fand dort gründerzeitliche Architekturen als Motive für sein Stereofotografien.
Von allen kulturellen und künstlerischen Aspekten abgesehen, hinterlassen auf beiden Seiten Gastfreundschaft und soziale Einbindung in das Gefüge der jeweiligen Gaststadt nachhaltigen Eindruck. Jan Wawrzyniak, seines Zeichens Maler und Zeichner, hat gar seinen Katalog im Rahmen des Austauschprogramms jenen Menschen in Columbus gewidmet, die ihn unterstützt, bewirtet und willkommen geheißen haben. Im lässigen Ton eines CD-Booklets tauchen die Schlüsselfiguren der Kunstszene in Columbus auf: Ray Hanley, Tim Crowter, Gisela Josenhans, Annegret Nill, John Cortlander und all’ die anderen, deren Namen immer wieder erscheinen, wenn es um die Integration der Ankömmlinge geht. Auch in seiner Bildauswahl hat sich Wawrzyniak gänzlich von seinem Œuvre gelöst und sich konzeptuell mit der Vergeblichkeit von Erinnerung und der damit verbundenen Wehmut auseinandergesetzt, mit kaum dechiffrierbaren Polaroids. Die Transformation der Erinnerungen, der mentalen und visuellen Andenken in Kunstwerke ist zweifellos das Hauptziel aller reisenden KünstlerInnen, mindestens seit Albrecht Dürer die Alpen überwand oder der Zeichner Theodore de Bry auf den neuentdeckten Kontinent reiste. Doch auch bereits vor Ort werden Einflüsse und neue Ideen umgesetzt; besonders bei den US-amerikanischen Künstlern, die (anders als ihre etwas jüngeren deutschen Kollegen) zu Hause häufig durch Lehraufträge eingebunden sind und die Extra-Arbeitszeit im Ausland begrüßen und effektiv nutzen wollen. Rebecca Harvey, die Keramikerin, kam nach Dresden und damit an die Wiege europäischen Porzellans. Zwar nicht direkt in der Meißner Manufaktur, woher das berühmte „Dresden China“ stammt, sondern in der nahen und ebenfalls traditionsreichen Freitaler Produktion, konnte sie eigene Artefakte kreieren und sich von historischen Formen anregen lassen. Alan Crockett bekam 2000 sein Atelier auf Zeit direkt dort, wo schon Oskar Kokoschka oder A.R. Penck den Blick auf den Fluss Elbe genossen oder verflucht haben: in der Dresdner Kunstakademie. Seine hier entstandenen Werke erzählen lebhaft von der allgegenwärtigen barocken Ornamentik und ihren Verführungskünsten. Ebenfalls in den Hochschulwerkstätten arbeitete zwei Jahre zuvor Nicholas Hill an seinen druckgrafischen Blättern. Die Anregungen dafür holte er sich auf ausgedehnten, systematischen Fußwanderungen in der Stadt und ihrer Umgebung. Die sprichwörtliche Verschiedenartigkeit der Dimensionen von europäischen und nordamerikanischen Städten erfuhr nicht nur Hill, sondern auch jene Gäste in Columbus, die bemerken mußten, dass das Auto als Fortbewegungsmittel in den USA eigentlich unverzichtbar ist und organischer Bestandteil des dortigen Lebensgefühls. Dennoch ließ sich Thorsten Waak nicht davon abhalten, Columbus per Fuß zu erschließen und dabei gelangen dem aus Quedlinburg (einer kleinen, mittelalterlichen Stadt im Harz) Gebürtigen präzise und diskrete Aufnahmen, die sachliche, modernistische Architektur mit US-amerikanischem Lebensgefühl in Verbindung bringen – ohne dabei im Mindesten Klischees zu strapazieren. Olaf Rauh führten seine Erkundungen in eine Art Thrift Store, wo vor vier Jahren gleichsam der Grundstein für seine neueste Werkgruppe gelegt wurde. Der Schnittmusterbogen, aus dessen Elementen textile Variationen und Ojekte entstanden, stammt noch vom Columbus-Aufenthalt des Leipzigers. Petra Kasten wie auch Stefan Stößel empfingen im Mutterland der PopArt heftige Impulse und so erscheinen in deren post-kolumbianischen Schöpfungen eindeutige Verweise auf die Klassiker der Ikonisierung von Konsumgütern.
So und anders wirken die wechselseitigen Eindrücke von beidseits des Atlantik lange nach und bekräftigen die ursprüngliche Absicht des Austauschprogrammes seit nunmehr sechs Jahren neu. Und gewiss haben jene KünstlerInnen, deren spezielle Erfahrungen hier unerwähnt bleiben müssen: Sven Braun, Laura Bidwa, Lynn Holbroke, Thomas Scheibnitz, Andrew Scott und Stefan Schröder nicht minder wertvolle und langfristig verwertbare „Souvenirs“ für ihren schöpferischen und persönlichen Fundus angesammelt. Und wie es Veit Hoffmann, Stefan Plenkers und Rainer Zille ganz am Anfang der „Columbus-Dresden-Connection“ empfunden haben: Ob es die transatlantischen Freundschaften sind oder die künstlerischen Inspirationen – Gründe, auf Reisen zu sein und Gründe zur Wiederkehr gibt es allemal.
Susanne Altmann und Iduna Böhning
(Begleittext und Bilder aus dem Katalog „Künstleraustausch Columbus Ohio – Freistaat Sachsen“
Herausgeber: Kunsthaus Raskolnikow e.V. © 2001, gefördert durch SMWK und Greater Columbus Arts Council)
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